Dem Gründer auf der Spur
Sein Name ist Carl Johann Freudenberg. Der Erfolg des Technologieunternehmens, das seinen Namen trägt, lässt sich bis zu ihm zurückverfolgen. Vor über 175 Jahren, am 9. Februar 1849, gründeten er und ein Partner eine Lederfabrik in Weinheim. Was folgte, war der einzigartige Aufstieg des Unternehmens. Es sollte zu einem globalen Konzern werden, dessen Geschichte in einem modernen Archiv sowie in anderen Quellen umfassend dokumentiert ist. Aber was sagen uns die Aufzeichnungen über Carl Johanns Persönlichkeit, über ihn als Mensch? Wie prägen sein Denken und Handeln noch heute die Unternehmenswerte von Freudenberg? Wir gehen auf Spurensuche.


„Stellen Sie sich einen Startup-Gründer vor, der soeben zum dritten Mal Vater geworden ist und inmitten einer Revolution, mit der Unterstützung seines Schwiegervaters, einen kleinen insolventen Betrieb kauft�, schlägt die Freudenberg-Archivarin Julia Schneider vor. Diese erste, zugegeben vereinfachte, Annäherung an die Person Carl Johann Freudenberg zeigt, dass es ihm nicht an Selbstbewusstsein fehlte.
Er hatte das Glück, die richtigen Zutaten für einen stetigen, schrittweisen Aufstieg vom Lehrling zum Mit- und schließlich Alleineigentümer seines Unternehmens zu vereinen. Was waren diese Zutaten?
Was hat ihn, den damals 30-jährigen Familienvater, in einer solchen Zeit voller Ungewissheit an den Erfolg glauben lassen? „Dazu gehören die passenden Charaktereigenschaften, aber auch die richtigen Begleiter, beruflich und privat�, sagt Schneider.


Das Kind
Alles beginnt mit einem frühen Schicksalsschlag. Carl Johann ist erst neun Jahre alt, als er seinen Vater verliert, der es im Leben schwer hatte. Georg Wilhelm Freudenberg betreibt das Gasthaus „Zum Löwen� in Hachenburg, einer Stadt zwischen Köln und Frankfurt. Doch in der frühindustriellen Armutskrise läuft es schlecht. Anfang 1829 muss das Gasthaus geschlossen werden und der Wirt einen radikalen Berufswechsel vollziehen.
Ihm wird die Zollerhebungsstelle in Weilburg an der Lahn übertragen, wo er wenig später stirbt.
Es ist der 9. März 1829. Als Einziger bei ihm ist sein Sohn Carl Johann, den er aus Hachenburg mitgenommen hat. Seine Kindheit war vorüber. Die Familie trauert und kämpft um die finanzielle Existenz. Carl Johanns Mutter zieht mit ihm und fünf Geschwistern nach Neuwied, wo Verwandte der Familie unter die Arme greifen. Mit 14 Jahren muss Carl Johann auf eigenen Beinen stehen und beginnt eine Lehre in der Lederhandlung seines Onkels im 200 Kilometer entfernten Mannheim � für die damalige Zeit eine große Reisedistanz. „Die Not der Familie hat sicher etwas in Carl Johann ausgelöst � bestimmt auch den Drang, mehr aus sich zu machen�, sagt Schneider. „Das leiten wir aus der folgenden Zeit ab, in der er mit Ehrgeiz, Fleiß und Sparsamkeit zu einer Art Selfmade-Man aufsteigt.�


Der Aufsteiger
Carl Johann findet schnell zu sich und entdeckt seine Stärken. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt als Lehrling seines Onkels Johann Baptist Sammet und dessen Teilhaber Heinrich Christian Heintze in Mannheim � verglichen mit seinem Heimatort eine pulsierende Großstadt. „In dieser Zeit merkt er, welche positiven Auswirkungen sein eigenes Handeln und seine Fähigkeiten auf sein Leben haben. Er gewinnt dadurch Selbstvertrauen, das ihm hilft, sein Ziel weiter zu verfolgen, etwas aus sich zu machen�, sagt Schneider.
Sein Fleiß und Ehrgeiz treiben ihn dabei an. Der junge Mann bedient nicht nur Kunden hinter der Theke des Handelshauses und liefert Waren aus, sondern betreibt mit seinem Verdienst aus der Lederhandlung auch noch einen Zigarrenhandel und vermehrt so sein Geld.
Carl Johann, der keine weiterführende Schule besuchte, lernt Französisch und Englisch, geht ins Nationaltheater Mannheim, bewegt sich zunehmend sicher in angesehenen und internationalen Kreisen und beweist weiter sein Können in der Firma des Onkels. Infolgedessen darf er 1844 sein Geld in die Firma einbringen und erwirbt 20 Prozent der Anteile als stiller Teilhaber.

Der Ehemann
Carl Johann heiratet etwas später im selben Jahr Sophie Martenstein, die er ein Jahr zuvor im Frühling bei einem Singkreis, einer sogenannten Liedertafel, kennengelernt hat. Martenstein stammt aus einem wohlhabenden Wormser Elternhaus. Ihr Vater, ein Gewürzhändler, ist ein angesehener Geschäftsmann. Er gibt sein Einverständnis, dem sicher nicht nur die Prüfung von Herz und Charakter oder gar Aussehen des jungen Carl Johann vorausging. Es geht um wirtschaftliche Fakten, sowohl zur persönlichen Finanzlage als auch zum beruflichen Erfolg. In ihren Lebenserinnerungen schreibt Sophie: „Die Überzeugung, einen braven tüchtigen Schwiegersohn zu bekommen, der sich ja 5000 Gulden [umgerechnet rund 100.000 Euro] verdient hatte, bewogen meinen Vater, ihm seine einzige Tochter anzuvertrauen.� In den folgenden Jahren entsteht eine junge Familie: Zunächst kommen zwei Töchter zur Welt: Elise und Luise, die allerdings früh stirbt. Als der Sohn Friedrich Carl 1848 in Mannheim auf die Welt kommt, tobt bereits die Badische Revolution.


Seine Zeitgenossen
Was ist da los vor Carl Johanns Haustür in Mannheim? Es geht um nichts weniger als Pressefreiheit, Geschworenengerichte und einen deutschen Nationalstaat mit einem frei gewählten Parlament.
Bis dato ist das Land ein Flickenteppich aus eigenständigen Territorien, darunter das Großherzogtum Baden mit der Stadt Mannheim. Die Revolutionäre teilen sich in zwei Lager: das liberal-konstitutionelle und das radikaldemokratische.
In Mannheim herrscht Aufruhr, ein totaler Umbruch wird verlangt, revolutionäre Volksversammlungen mit Tausenden Teilnehmern finden statt. Unzählige weitere folgen im ganzen Land. Es kommt zu Gefechten. „Geschäftsleute, die sich in der Regel stabile politische Verhältnisse wünschen, blicken sorgenvoll auf die Ereignisse. Das gilt auch für unseren Gründer�, sagt Schneider. Vielleicht ahnt er schon, dass ihn das Schicksal erneut prüfen möchte.
Der Unternehmer
Das Land erlebt politische Stürme, in denen auch das Bankhaus zusammenbricht, über das man die Lederhandlung mit Hilfe von Wechseln finanziert. Die Firma gerät in Zahlungsschwierigkeiten und muss 1848 aufgelöst werden. „Kommen wir zurück auf die Themen Glück und richtige Zutaten�, sagt Schneider. „Carl Johann Freudenberg hat das Glück, die Krise als Chance für sich nutzen zu können, weil er nun eine starke Familie im Rücken hat, die ihm auch ein Startkapital geben kann.� Sein Schwiegervater, der viel auf ihn hält, stellt seiner Tochter Sophie die nötigen Geldmittel zur Verfügung, damit sie ihren Mann bei seinem Vorhaben, einen Teil der Firma zu übernehmen, unterstützen kann. Für die damalige Zeit ein progressives Vorgehen, die Tochter so ins Geschäftliche zu integrieren.
Der im Revolutionsjahr geborene Sohn Friedrich Carl schreibt 90 Jahre später in seinen Memoiren: „Da die Liquidation die Trennung der beiden Firmeninhaber notwendig machte, konnte Vater zwischen den beiden Teilhabern wählen. Seine Wahl fiel auf Herrn Heintze. So entstand das Unternehmen Heintze & Freudenberg in Weinheim, das 1849 die kleine Kalbsleder-Gerberei übernahm.�
Warum kauft er sich in die Lederfabrik mit Heintze und nicht in den Lederhandel mit dem Onkel ein? Für einen Unternehmer ergeben sich aus der Lederfabrik viel größere Gestaltungsmöglichkeiten und Wachstumschancen als mit einer „einfachen� Lederhandlung. „Hier zeigt sich der unternehmerische Weitblick von Carl Johann�, sagt Schneider. Und noch etwas: „Die Überzeugung, dass er es in diesen unruhigen Zeiten schaffen kann, fußt sicher darauf, dass er sich als Jugendlicher schon einmal aus einer finanziellen Krise befreit hat und dann mit seinen Tugenden erfolgreich wurde. Es wiederholt sich auf eine gewisse Weise etwas, das er bereits einmal meistern konnte. Und diesmal ist er fest entschlossen, seine Erfahrung und Stärken zu seinem Vorteil zu nutzen.� So stellt er inmitten der Revolution die Weichen für ein Weltunternehmen. Am 9. Februar 1849, einem Freitag, gründen die Partner mit dem Eintrag ins Handelsregister offiziell die Firma Heintze & Freudenberg. Nur wenige Monate später ist auch die Revolution niedergeschlagen.



Der Firmenlenker
Danach geht es schnell. Der Plan geht auf. Innerhalb der nächsten drei Jahre vervierfacht sich der Umsatz, die Zahl der Mitarbeitenden steigt von 50 auf 170. „Dafür sind drei Aspekte wichtig�, sagt Schneider. Zunächst die Qualität. „Allein in Deutschland existieren zu dieser Zeit rund 10.000 lederproduzierende Betriebe. Freudenberg weiß, er und Heintze können sich nur durch Qualitätsprodukte abheben.� Zweitens ist ihm auch klar, dass er das Geschäft schnell internationalisieren muss, um Felle zu kaufen und Leder zu verkaufen. Nach dem Motto „Go big or go down� bauen die beiden Beziehungen in die USA und die Schweiz, nach Großbritannien, Frankreich und in die Türkei (damals noch das Osmanische Reich) auf. Und nicht zuletzt erkennt Carl Johann früh die Bedeutung von Innovationen, indem er einen Trend aus Frankreich aufgreift und Lackleder produzieren lässt. Damit muss er sich gegen seinen Partner Heintze durchsetzen. „Wer Lackleder macht, fährt in der Kutsche, wer normales Leder macht, geht zu Fuß�, sagt er selbst dazu und beweist erneut Weitsicht. Denn auf der Weltausstellung 1851 in London wird das Produkt aus Weinheim ausgezeichnet und sichert über viele Jahre den frühen Erfolg der Firma.
Der Mentor
Was ist noch heute spürbar vom Geist dieser frühen Jahre und von den Wesenszügen Carl Johann Freudenbergs? Nachdem das Unternehmen 1874 in seinen alleinigen Besitz gelangt und er die Familie Heintze � erneut mittels finanzieller Hilfestellung durch die Familie seiner Frau � ausbezahlt hat, kann er seine fürsorgliche Seite als Unternehmer zeigen. Heintze hatte sich ausschließlich für Kosteneffizienz interessiert und war vermutlich den anderen Interessen seines Partners im Weg gestanden. Im selben Jahr gründete Freudenberg einen Krankenversicherungsverein für seine Beschäftigten, aus dem sich später die Betriebskrankenkasse des Unternehmens entwickelte. Später folgt ein allgemeiner Unterstützungsfonds für in Not geratene Arbeitnehmer und deren Familien. „Man erkennt die Verbindung zu seinen frühen Kindheitserlebnissen�, sagt Schneider.


Der Prinzipientreue
Freudenberg holt seine Söhne Friedrich Carl und Hermann Ernst zur Unterstützung in das Unternehmen und macht es damit zu einem Familienbetrieb. 1887 macht er sie zu Teilhabern, indem er jedem ein Drittel des Unternehmens überträgt. Zu diesem Zeitpunkt hat das Unternehmen mehr als 500 Beschäftigte und erhebliche Verpflichtungen für deren Versorgung. Aus Anlass des Generationswechsels und vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Größe des Unternehmens schreibt Carl Johann Freudenberg nun auch seine Geschäftsgrundsätze handschriftlich nieder. Bescheidenheit, Ehrlichkeit, ein solides finanzielles Fundament und die Fähigkeit, sich den jeweiligen Veränderungen anzupassen, sind für ihn die wichtigsten Grundsätze für ein erfolgreiches unternehmerisches Handeln. Auch das Thema Vertrauen � nicht nur in sich selbst, sondern auch in seine Familie, Partner, Arbeitnehmer � spielt eine große Rolle. Oder um es mit Carl Johanns eigenen Worten zu sagen: „Lieber hundertmal vertrauen auf die Gefahr hin, dass man auch einmal reinfällt, das ist besser, als einmal zu Unrecht misstrauen.�
Zusammengefasst heißt das: Von Schicksalsschlägen geprägt, hat sich Carl Johann Freudenberg durch Fleiß, Sparsamkeit, Strebsamkeit, Selbstvertrauen und Prinzipientreue stets „bemüht, aus jeder Lage das Beste zu machen� (Zitat aus den Geschäftsprinzipien). Gepaart mit unternehmerischer Weitsicht, der damit verbundenen Offenheit für Wandel und Innovationen und der von ihm gelebten Vertrauenskultur entwickelte er sich zu einem erfolgreichen Unternehmer, dessen Erbe die Unternehmenskultur bis heute prägt.
175 Jahre Freudenberg

Familienbanden
Freudenberg ist bereits seit sieben Generationen in Familienbesitz. Auch unter den Angestellten gibt es ganze Dynastien, die schon über viele Generationen hinweg für den Technologiekonzern arbeiten. Die folgenden Beispiele stehen stellvertretend für die hohe emotionale Verbundenheit der Mitarbeitenden mit Freudenberg.
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Wir sind so vielfältig und unterschiedlich wie unsere Mitarbeitenden, Produkte und Anwendungen. Entdecken Sie die faszinierende Welt von Freudenberg.
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